The Windmills Of Your Mind

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BALLADEN waren schon immer die Höhepunkte einer jeden Show für mich, egal ob als vortragender Musiker oder als gebannter Zuhörer.

Hier, in den langsamen, fragilen Stücken, wo jeder Ton, jede klangliche Nuance, jede Pause eine Bedeutung bekommen, kann ein Künstler zeigen, ob er wirklich etwas zu erzählen hat und bereit ist, etwas von sich preiszugeben.

In der Ballade offenbart sich der Musiker am unmittelbarsten seinem Publikum (und seinen Mitmusikern).

Schon lange trug ich den Gedanken in mir, ein reines Balladen-Album aufzunehmen, war aber der Ansicht, dass man dazu eine gewisse „menschliche Reife“ vorweisen können müsste und sich einer solchen Aufgabe deshalb nicht unter 50 stellen sollte.

Nun ist es soweit! Noch nie hat sich ein Mensch so auf seinen 50. Geburtstag gefreut!

Um es gleich vorwegzunehmen: das mit der Reife ist so eine Sache, aber…

Im April 2014, über die Osterfeiertage, haben wir uns in Hamburg in den Proberäumen von Buggy Braune und Inga Rumpf (an dieser Stelle noch einmal vielen Dank, liebe Inga!) in einem Hinterhof über einer Autowerkstatt eingenistet, um einige unserer absoluten Lieblingssongs aufzunehmen. Wir hatten uns ganz bewusst gegen die sterile Atmosphäre eines hochprofessionellen Studios entschieden im Wissen, dass das Gelingen unseres Vorhabens ganz entscheidend von einer intensiven, intimen Stimmung und nicht von 100-prozentiger Signaltrennung hinter Glasscheiben abhängen würde.

Studio_Band

„Wir“, das sind außer mir Buggy Braune, Olaf Casimir, Heinz Lichius und als Gast der wunderbare Ken Norris. Mit Ausnahme meines langjährigen Weggefährten Olaf alles Musiker, die ich zwar schon lange kannte und sehr schätzte, mit denen ich aber bisher nur selten (viel zu selten!) gespielt hatte.

Das Schlüsselerlebnis mit dieser Rhythmusgruppe hatte ich bei einem gemeinsamen Gig im Jazzclub Hannover, bei dem wir ein exklusives Miles Davis-Programm gespielt hatten. Der Klang dieser Band und die offene, entspannte aber hochkonzentrierte Auffassung des gemeinsamen Musizierens gingen mir nicht mehr aus dem Sinn.

Ich hatte mich die Wochen vor den Aufnahmen sehr speziell vorbereitet, indem ich mich fast ausschließlich auf meinen Sound mit allen seinen Schattierungen und die zu spielenden Kompositionen und deren Interpretation konzentriert habe. Während dieser Zeit drangen keine einzige technische Übung, keine quirlige Bebop-Phrase, kein lauter Ton aus meinem Übungsraum.

So bildete sich in meinem Kopf eine genaue Vorstellung, wie das Album klingen sollte.

Schon nach wenigen Aufnahmeversuchen in unserem „Studio“ wurde sofort klar: das ist er! Das ist genau der Sound, den ich gesucht hatte! Offenbar zogen alle Musiker an einem Strang und hatten – ohne dass wir vorher viel darüber geredet hätten – eine gemeinsame und ziemlich genaue Vorstellung davon, wie wir diese Musik zu spielen hatten.

studio-piano

Und schon bald, mit Einbruch der Dämmerung, wie uns schnell klar wurde, gab es die ersten „magischen Momente“, in denen alles floss und von selbst zu geschehen schien. „Olhos de Gato“ und „The Peacocks“ sind so entstanden.
So haben wir schon am ersten Tag bis tief in die Nacht aufgenommen und beschlossen, auch die folgenden Tage vor allem abends und nachts aufzunehmen, was mir persönlich sehr entgegenkam.
Für mich gehören Jazz und die Nacht untrennbar zusammen und gerne möchte ich einmal den Erfinder des Jazz-Frühschoppens zu einem öffentlichen Streitgespräch einladen…

Ich bin sehr glücklich und sehr stolz, dass wir diese konzentrierte und intime Stimmung auch an den folgenden zwei Aufnahmetagen aufrecht erhalten konnten.

Das Album beginnt mit „Chelsea Bridge“, einer Billy Strayhorn-Komposition, die ich vor einigen Jahren schon einmal für meine Duo-CD „My Kind Of World“ mit dem Bassisten Jimmy Woode aufgenommen habe, der tragischerweise kurz vor der Veröffentlichung trotz hohen Alters völlig überraschend starb (ich besitze ein Foto von seinem letzten Ton, wo er in die Kamera grinst und fragt: Was I good?…). Das war damals ein grosser Schock für mich, und ich möchte mit dieser Version noch einmal an diesen großartigen Musiker und warmherzigen Menschen erinnern.

Danach folgt der erste Titel mit unserem Gast Ken Norris, der drei wunderschöne Songs ausgesucht hat. „Estate“ hatte ich mir gewünscht, als eine Hommage an die grosse Shirley Horn, deren Version dieses Stückes ich tatsächlich fast täglich höre und immer hören werde. Ich liebe extrem langsame Bossa-Novas, und Heinz Lichius spielt diesen Rhythmus großartig entspannt.

„Never Let Me Go“ ist eine Ballade, die ich jahrzehntelang nicht gespielt, aber immer sehr geliebt habe. Ich bin sehr dankbar, dass Ken dieses Stück zurück in mein Gedächtnis geholt hat. Buggy Braune spielt hier eine seiner genialen Piano-Intros, die sofort die Stimmung des ganzen Stückes festlegen.

„Everything Happens To Me“ ist die einzige, teilweise etwas schnellere und sehr humorvolle Nummer auf dem Album, bei der wir auch im Studio sehr viel Spaß hatten. Lieber Ken, ich werde dieses Stück nie wieder hören können wie vorher! Du weißt, warum…

Die Carla Bley-Komposition „Olhos de Gato“ begleitet mich schon fast ein ganzes Leben lang. Dieses Stück war bereits ein Höhepunkt im Programm meiner allerersten eigenen Band. Damals war schon Olaf Casimir (im zarten Alter von 17 Jahren) am Bass, der hier ein wunderschönes Solo spielt, das ihn hoffentlich nicht allzu traurig stimmt, da ihm dieses Instrument wenige Wochen nach den Aufnahmen während einer Tour gestohlen wurde.

„Spring Is Here“ ist eine Komposition, die ich zum ersten Mal „live“ auf der Bühne mit Dr. Lonnie Smith kennengelernt habe. Es hat ihn damals köstlich amüsiert, wie ich mich völlig unvorbereitet durch die doch recht komplexen Akkorde dieses Werkes kämpfen musste. Jetzt wollte ich es doch auch einmal „richtig“ spielen…

Ich freue mich sehr, dass das Album nach einem Titel benannt ist, den ich bei aller Vorbereitung ursprünglich gar nicht geplant und instrumental auch noch nie gespielt hatte. „The Windmills Of Your Mind“ haben wir spontan ins Programm genommen, weil wir noch gerne einen eher chansonartigen Titel im Repertoire haben wollten. Schon nach wenigen Takten der Einleitung, die Buggy und Olaf anspielten, war mir klar, dass das ein ganz besonders spannender Song werden würde, und es ergab sich ein weiterer „magischer Moment“ für mich…

Das Album schließt mit der nicht ganz ernst gemeinten Ballade „The Party Is Over“, bei der ich das Bild einer der zahlreichen Frank Sinatra-Kopien vor Augen hatte, die über die ganze Welt verstreut in ihren eigenen Nachtclubs mit gelockerter Krawatte und einem Whisky in der Hand voller Selbstmitleid von nichts anderem singen als dem eigenen Altern…

stephan-abel-bwDieses Album ist genau so geworden, wie ich es mir gewünscht habe. Wir hatten vier wundervolle Tage in Hamburg, die ich bestimmt nicht vergessen werde. Ich möchte mich bei allen Musikern und unserem Tontechniker Ingo Schmidt bedanken, dass sie bereit waren, sich dermaßen intensiv und inspiriert in dieses Projekt einzubringen. Ein ganz besonderer Dank geht an Ken Norris, der mit seiner unverwechselbaren, beseelten Stimme das gesamte Album nochmals veredelt hat.

Ich bin sehr glücklich, dass wir während der gesamten Produktion die Fotografin Irène Zandel dabei hatten, die mit ihren großartigen, eindrucksvollen Bildern die Stimmung im Studio sehr einfühlsam wiedergegeben hat. Vielen Dank, Irène. Am liebsten würde ich ein ganzes Buch mit den Fotos herausbringen!

Ein ebenso großes Dankeschön an Andreas Barkhoff, der mit viel Liebe und Geduld ein Video über diese vier Tage gedreht hat, auf das ich mich schon sehr freue! Und – last but not least – ein Riesendank an Ralf Zitzmann (agogo-records), ohne den es dieses Album vermutlich niemals gegeben hätte.

Stephan Abel